„Es ist eine sehr sinnvolle Art, dieses Jahr so zu verbringen“
Fahrt in den Magdeburger Süden. In der Landeshauptstadt wird’s fast ländlich, in einer Seitenstraße - sie heißt nach Adolf Jentzen: Er war ein Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus und starb 1943 - finden wir das Kinderzentrum Magdeburg. Oder auch: Sozialpädiatrisches Zentrum. Oder: SPZ. So nennen es alle, die in der sozialen Welt beheimatet sind.
Wir treffen Immanuel Krogel. Im SPZ macht er sein Freiwilliges Soziales Jahr - oder, noch eine Abkürzung: FSJ. Seit März 2020 ist er hier und sein "Vorleben" ist keineswegs typisch für einen FSJler: Elektroniker für Betriebstechnik hat er gelernt, im Kaliwerk in Zielitz, dem größten seiner Art in Deutschland. "Anderthalb Jahre über Tage, anderthalb Jahre unter Tage", fasst er die Zeit der Ausbildung zusammen, "Schichtarbeit, 700 Meter tief, dritte Sohle." Opa und Onkel waren auch schon hier, Immanuel trat in ihre Fußstapfen. Anfang 2020 dann die bestens absolvierte Facharbeiterprüfung - "oder auch Gesellenprüfung" -, die Firma freute sich mit und bot ihm Fortbildung, Beruf und Geld an. Doch Immanuel sagte herzlich bye bye.
22 Jahre alt war er da und begann sein FSJ im SPZ. Immanuel Krogel hatte sich an sein einstiges Schülerpraktikum im Kindergarten erinnert (oder, besser gesagt, es nie vergessen), an Konfirmation und Treffs der Jugendgruppe. Die Frage pochte: "Bin ich glücklich?" Seine Antwort: die Entscheidung für den Wechsel. Das SPZ "mit seinem großen Angebot" war ihm schnell vor Augen: Hier arbeiten Kinderärzte, Psychologen, Therapeuten, Sozialarbeiter und Heilpädagogen, es kommen Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 0 und 18 Jahren und suchen - meist mit ihren Eltern - Rat und Hilfe. Immanuel: "Hier sieht man alles."
Beim Caritasverband für das Bistum Magdeburg fand er die Ansprechpartner für seinen FSJ-Plan. Von dort wurde die Brücke zum SPZ geschlagen, die Caritas gehört gemeinsam mit den Pfeifferschen Stiftungen zu den Gesellschaftern der Einrichtung. Am 1. März 2020 ging’s für Immanuel los, der "guten Aufnahme" folgten rasch die Auswirkungen der Corona-Krise und auch im SPZ änderten sich die Arbeitsbedingungen. Doch Immanuel Krogel wusste schnell: Hier bin ich richtig, "meine Entscheidung für die soziale Arbeit stimmt". Sein FSJ dehnt er jetzt ein wenig aus und aus den "normalen" zwölf Monaten sollen anderthalb Jahre werden, dann passt es zeitlich mit dem Beginn eines Studiums im Herbst 2021. "Vielleicht in Stendal" - dort gibt es das Fach "Kindheitspädagogik".
Dafür empfindet Immanuel die SPZ-Zeit als optimale Vorbereitung. Er lernt alle Bereiche des Kinderzentrums kennen, hospitiert häufig in den Sprechstunden, die der Diagnostik und Therapie dienen. Auch in der Verwaltung macht er Station, vertieft sich in Buchhaltung und Statistikwesen. Alles, so Immanuel Krogel, geschieht "auf Augenhöhe, ich fühle mich ernst genommen und wir sind alle echte Gesprächspartner". Insgesamt "eine gute Zeit", "alles passt".
www.kinderzentrum-magdeburg.de
In Halle sind wir ebenfalls im Süden der Stadt unterwegs und besuchen zwei Schulen der Edith-Stein-Schulstiftung, die zum Bistum Magdeburg gehört. Auf Murmansker und Jamboler Straße findet sich das ganze Angebot: Elisabeth-Gymnasium, St. Franziskus-Grundschule und St. Mauritius-Sekundarschule. FSJ gibt’s in allen drei Schulen schon lange.
In der St. Mauritius-Sekundarschule treffen wir Jette Weißenbeck. Direkt nach dem Abitur im Sommer 2020 hat sie hier ihr FSJ begonnen, nach, wie sie sagt, "sorgfältiger Prüfung". Dazu gehörte auch ein "Einarbeitungstag" vorab, dann war schnell klar: Ich mach´s (und die Schule mit ihren Lehrerinnen und Lehrern natürlich auch). Inzwischen weiß sie: "Ich würde es genauso wieder tun."
Dem FSJ-Angebot ist Jette erstmals bei einer Messe begegnet. "Chance Halle" heißt die und sie ist die größte Bildungs-, Job- und Gründermesse in Sachsen-Anhalt. Das Referat Freiwilligendienste des Caritasverbandes für das Bistum Magdeburg wirbt hier seit vielen Jahren für das FSJ, an Besucherinnen wie Jette Weißenbeck erinnert man sich lange und gerne. Das Gespräch drehte sich schnell um Schulen, die ein FSJ anbieten, denn dafür interessierte sich die 18-jährige ganz besonders. So kam die St. Mauritius-Sekundarschule in den Blick.
Das FSJ von Jette begann im September 2020, "mitten in diesen Corona-Zeiten". Morgens um halb acht ist sie in der Schule, meist geht der Arbeitstag bis um vier. "Familiär" sei die Atmosphäre, "von Anfang an", im Lehrerzimmer fühlte sie sich direkt wohl. "Begleitdienste für den Unterricht" heißt ihre Jobbeschreibung ein wenig technisch, Jette sagt lieber: "Ich bin bei allem dabei." Dazu bietet sie eine eigene Tanz-AG an, das passt zu ihrem Interesse an Kunst und Kultur.
Nach dem Abitur wollte Jette Weißenbeck nicht direkt auf der "nächsten Schulbank" Platz nehmen, ein häufiges Motiv für ein FSJ. Mit Gottesdiensten oder Andachten kommt sie im Übrigen in ihrer Schule erstmals in Kontakt - und fühlt sich "angesprochen". So geht es ihr auch bei den Seminaren, die bei einem FSJ zum Programm gehören, insgesamt viermal eine Woche und fern der jeweiligen Einrichtung, meist in einem Bildungshaus (und derzeit auch schon einmal digital). Hier hat Jette "viele neue Leute kennengelernt". Alles in allem sagt sie über ihr FSJ: "Die beste Entscheidung, die ich treffen konnte."
Einmal über die Straße, zur St. Franziskus-Grundschule. Im schmucken, farbenfroh gestalteten Neubau - 2014, bei seiner Eröffnung, das erste Passivenergie-Schulhaus in Holzbauweise im Land Sachsen-Anhalt - hat jede Jahrgangsstufe ein eigenes Leitmotiv: In der ersten Klasse heißt es "Kind und Schule", in der zweiten "Kinder ergreifen die Welt", in der dritten "Kinder wachsen in die Gemeinschaft" und in der vierten "Kinder beginnen die Welt zu begreifen".
Pauline Rothkirch weiß: Das ist meine Welt. Jetzt für mein FSJ und später im Beruf. Grundschullehrerin will sie werden und dafür ist die Zeit in der St. Franziskus-Grundschule die ideale Vorbereitung. Ihre Arbeitstage beginnen früh: Morgens, auf der "Park- und Begrüßungswiese", empfängt sie ab kurz nach sieben die Schülerinnen und Schüler. Dann geht’s in die Klassen, für Pauline heißt das: 2a. Morgenkreis, Klassenkerze und auch Morgengebet - der Schultag beginnt mit seinen festen Ritualen.
Die Edith-Stein-Schulstiftung kennt sie bereits aus ihrer eigenen Schulzeit: Am Liborius-Gymnasium in Dessau-Roßlau hat die 19-jährige ihr Abitur gemacht. In Wolfen-Nord fühlt sie sich der katholischen Gemeinde zugehörig, so fügt sich manches zusammen. Auch für sie war wichtig: Abstand zur Schulbank gewinnen. Dazu das zweite, ebenso häufige "FSJ-Motiv": den Berufswunsch erproben und überprüfen.
An der St. Franziskus-Grundschule lernt sie "Projektorientiertes Lernen" in der Praxis kennen, freut sich über die "tolle Zusammenarbeit von Schule und Hort" und geht mit "ihrer" Klasse nach draußen auf die "Kinderbaustelle". Sie sei "unterrichtsunterstützend" und in der "individuellen Begleitung" eingesetzt. Das Miteinander im Lehrerzimmer genießt sie, alles "sehr angenehm".
Corona hat auch ihr FSJ verändert. Pauline hofft, dass ihre Seminare 2021 wieder als Präsenzveranstaltungen stattfinden können. Immerhin, im Herbst 2020 wurden noch einige "Wandertage" durchgeführt, da lernte sie gemeinsam mit den Kindern Halle und seine Sehenswürdigkeiten kennen. Im Herbst 2021 will Pauline Rothkirch mit ihrem Studium der Grundschulpädagogik beginnen - und fühlt sich durch ihr FSJ bestens vorbereitet: "Es ist eine sehr sinnvolle Art, dieses Jahr so zu verbringen."
www.edith-stein-schulstiftung.de
Viele weitere Infos zum Thema FSJ gibt es hier:
www.mein-jahr-caritas.de
www.freiwillig-in.de